Seit seinem Auftreten Ende 2019 hat SARS-CoV-2, der Erreger von COVID-19, eine umfassende genomische Evolution durchlaufen, die zur Entstehung mehrerer Varianten mit unterschiedlicher Übertragbarkeit, Immunfluchtmechanismen und pathogenem Potenzial geführt hat. Das Verständnis der molekularen Interaktionen zwischen viralen und Wirtsproteinen – das sogenannte SARS-CoV-2-Proteom-Interaktom – war entscheidend, um die Mechanismen der Infektion, der Immunmodulation und der Replikation des Virus zu entschlüsseln.
Über die akute Infektionsphase hinaus leidet ein erheblicher Teil der Betroffenen unter anhaltenden Symptomen, die als Long COVID zusammengefasst werden. Dazu gehören neurologische Komplikationen wie Gehirnnebel (Brain Fog), kognitive Beeinträchtigungen und Fatigue. Während die zugrunde liegenden molekularen Mechanismen noch nicht vollständig geklärt sind, deuten aktuelle Erkenntnisse darauf hin, dass virale Persistenz, Immunstörungen und Entzündungsreaktionen zu diesen Langzeitfolgen beitragen können. Die Erforschung der Interaktionen von SARS-CoV-2-Proteinen mit neuronalen und immunologischen Signalwegen des Wirts ist daher entscheidend für die Entwicklung gezielter Therapien zur Minderung der Auswirkungen von Long COVID und zur Verbesserung der Patientenversorgung.
In den vergangenen fünf Jahren haben Fortschritte in der Proteomik, Strukturbiologie und Systembiologie beispiellose Einblicke in die Virus-Wirt-Interaktionen ermöglicht. Hochdurchsatz-Massenspektrometrie, Kryo-Elektronenmikroskopie und computergestützte Modellierung haben zentrale virale Proteininteraktionen identifiziert, die zur Pathogenese und Immunflucht beitragen. Diese Erkenntnisse haben nicht nur unser Verständnis der Coronavirus-Biologie erweitert, sondern auch zur Identifizierung neuer therapeutischer Zielstrukturen beigetragen.
Diese Übersicht fasst den aktuellen Stand des SARS-CoV-2-Proteom-Interaktoms zusammen und hebt zentrale Wirtsfaktoren hervor, die vom Virus ausgenutzt werden, sowie aktuelle Trends in der viralen Evolution und potenzielle Ansätze für antivirale Interventionen. Durch die Integration neuester Forschungsergebnisse möchten wir eine umfassende Ressource für Wissenschaftler bereitstellen, die neue Strategien zur Bekämpfung von SARS-CoV-2 und zukünftigen pandemischen Bedrohungen erforschen.
Das etwa 30 kb große Genom von SARS-CoV-2 kodiert für 16 nicht-strukturelle Proteine (Nsp1-16), vier strukturelle Proteine (Spike, Hüllprotein, Nukleokapsid, Membran) und neun mutmaßliche akzessorische Faktoren7. Viele dieser Proteine und Polypeptide haben zahlreiche Interaktionspartner, insbesondere in Lungenzellen, dem primären Infektionsort des Virus. Diese Interaktionen mit der Wirtszelle bestimmen die Fähigkeit des Virus, die Zelle zu infizieren, sein Genom zu replizieren und die Produktion sowie Freisetzung neuer Viruspartikel auszulösen. Darüber hinaus scheinen mehrere virale Proteine mit Signalwegen des angeborenen Immunsystems zu interagieren, darunter der Interferon-Signalweg, die NF-kappa B-Entzündungsreaktion, die Typ-I-Interferon-Produktion und die IRF-3-Aktivierung.
Mindestens einige der neun akzessorischen Faktoren von SARS-CoV-2 (Orf3a-10) sind mit der Krankheitsprogression von COVID-19 in Verbindung gebracht worden. Orf3a induziert Apoptose und scheint NF-kB sowie das NLRP3-Inflammasom zu aktivieren, das an Pyroptose beteiligt ist – einer hochentzündlichen Form der Apoptose. Die Typ-I-Interferon (IFN)-Antagonisten Orf6 und Orf9b hemmen die Signalübertragung von IFN-Alpha und IFN-Beta, zwei Schlüsselfaktoren der antiviralen Immunantwort.
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